Unterwegs unterm „Grünen Dach Europas“

Zwei Nationalparke und zwei Naturparke – wenn man das Landschaftsschutzgebiet Šumava dazuzählt, gar drei Naturparke – bilden zusammen das größte zusammenhängende Waldgebirge Mitteleuropas - vor dem Zweiten Weltkrieg „Böhmerwald“ genannt. Eine Welt für sich, egal, ob man politisch zu Bayern oder Österreich gehörte. Damals mehr als heute umweht vom „Hauch von Wildnis“ – besungen von Dichtern, wie den vielzitierten Adalbert Stifter. Doch das Leben der Einheimischen war vor dem Einzug der Sommer- und Winterfrischler hart: Kurze kühle Sommer beschränkten die Bauern auf Vieh- und Waldwirtschaft. Geld brachten eigentlich nur die Glasmanufakturen: Einzelne Familien – die Besitzer der Glashütten – wurden dadurch so reich, dass sie sich kleine Schlösschen leisten konnten. Einen Hauch dieses einstigen Glanzes kann man heute nur noch in der Manufaktur der Frauenauer Glasbarone, der Freiherren von Poschinger, erahnen. Auf Reste der einstigen Glasindustrie stoßen wir außerdem in Zwiesel oder natürlich in Bodenmais…

 

Eine andere Adelsfamilie – eigentlich keine Bayern, sondern Schwaben und teilweise Preußen gar, gemeint sind die Fürsten von Hohenzollern - investierte in eine Bergbahn zum höchsten Bayerwaldgipfel, dem Großen Arber! - Und schon sind wir mittendrin in der Entstehungsgeschichte des Naturparks und des Nationalparks Bayerischer Wald…

 

Der Traum einer heilen, abgasfreien Welt ist alt. Er stammt aus einer Zeit, in der die Menschheit – oberflächlich gesehen – rasante Fortschritte machte, in der die Welt jedoch gleichzeitig immer enger wurde. Laut offizieller Überlieferung war es der englische Poet William Wordsworth, der als erster bereits 1810 feststellte, dass die Natur in all ihrer Schönheit bewahrt werden müsse, da nur so den zukünftigen Generationen, deren Alltag sich immer mehr in städtischen Produktionsstätten abspielen würde, ein dringend notwendiger Freiraum – eine Gegenwelt zur technisierten, standardisierten Stadtwelt - erhalten bliebe.

 

Die Verwirklichung guter Ideen braucht jedoch Zeit. Und so folgten erst ein halbes Jahrhundert später den Worten Taten. Auf Betreiben John Muirs, den viele als den Urvater aller Ranger und Gebietsbetreuer  betrachten, wurde 1864 das erste Schutzgebiet ausgerufen. Es bildete das Kerngebiet des nur acht Jahre später gegründeten Yellowstone National Parks, des ersten Nationalparks der Welt.

 

Die Vereinigten Staaten sind Europas Trendsetter, in diesem Fall kann man sogar das positivere Wort „Vorreiter“ verwenden: 1909 wurde in Schweden der erste Nationalpark Europas gegründet.  Das Land schien für eine Nationalparkgründung geradezu ideal: Weite – schier unberührte – Wälder, eine niedrige Bevölkerungsdichte. Die Natur war keinem im Weg. Man konnte sich einen Nationalpark leisten!

 

Das Bewusstsein für die Natur, die Sehnsucht nach einer intakten Natur, war jedoch gesamteuropäisch. In Deutschland wurde die 1896 gegründete Wandervogel-Bewegung zum Sprachrohr eines neuen Wertesystems, einer neuen Jugend, die sich nach einer Freiheit sehnte, die sie ihrer Meinung nach nur draußen – beim Wandern – finden konnte.

 

Die Gründerväter des ersten deutschen Naturparks, des sogenannten „Naturschutzparks Lüneburger Heide“, hatten 1909 hingegen mehr das Gesamtsystem Mensch-Natur, die Abhängigkeit des Menschen von einer intakten Umwelt, in der auf die Kulturlandschaft ebenso geachtet wird, wie die Natur geschützt wird, im Blick. Die Zeit war reif.... Noch nicht ganz!

 

Ende der 1920er Jahre wurden in Deutschland auch die Stimmen immer lauter, die die Einrichtung von Nationalparks forderten, also von Gebieten, in denen jegliche menschliche Eingriffe untersagt sind, in denen „echter Urwald“ erhalten bleiben – oder zumindest ein urwaldartiger Wald entstehen darf. Immer wieder wurde bereits in der Anfangszeit in diesem Zusammenhang der Böhmerwald genannt: Planungen zu Beginn der 1940er sahen für solch einen Nationalpark konkret ein Gebiet vor, das vom oberösterreichischen Aigen über den Hochficht, Dreisessel, Lusen, Rachel, Falkenstein, Osser und Großen Arber bis zum Kaitersberg reichte. Krieg und Vertreibung verhinderten damals die Verwirklichung dieses Nationalparks.

 

1949 baute das Fürstenhaus Hohenzollern am Großen Arber den ersten Sessellift. Anfang der 1950er begannen auch Forstleute und Naturschützer, wieder über ein Großschutzgebiet im Bayerischen Wald nachzudenken. Während den einen – vor allem den Forstleuten rund um den Zwieseler Forstbetriebsleiter Konrad Klotz, erster Leiter des 1967 gegründeten Naturparks Bayerischer Wald, – dieser verhältnismäßig geringe Schutzstatus völlig ausreichend erschien, wollten andere – die Gruppe rund um den damaligen BN-Vorsitzenden Hubert Weinzierl und den Tierarzt, Verhaltensforscher, langjährigen Direktor des Frankfurter Zoos und bekannten Fernsehmoderator Prof. Bernhard Grzimek, mehr: Sie merkten, dass selbst der naturschutzfachlich besonders bedeutsame Lebensraum im Arbergebiet, also im Naturpark, durch die Negativfolgen des beginnenden Massentourismus erheblich bedroht war und wollten ähnliche Entwicklungen an Rachel und Lusen verhindern. Die Idee eines Nationalparks war alt und doch revolutionär! In Deutschland hatte man keinerlei Erfahrungen darin, welche Wildnis man zulassen konnte und sollte. Es wurde diskutiert, Gutachten wurden erstellt, es fanden Vor-Ort-Begehungen statt, Kreistagssitzungen, Landtagssitzungen, Bundestagssitzungen…

 

Vom 07. Oktober bis zum 11. Oktober 1970 fanden endlich die Eröffnungsfeierlichkeiten in Neuschönau statt: Der erste deutsche Nationalpark, Vorbild für viele andere, die noch folgen sollten, war im Grenzkamm zwischen Lusen und Rachel geboren. Ein Gebiet, in dem man „Natur Natur sein lsssen“ wollte, in dem der Mensch bloß in der Pufferzone, einem 500 Meter breiten Gürtel im Rande des Nationalparkgebiets, den Borkenkäfer bekämpft, um die anliegenden Privatwälder zu schützen.

 

1997 wurde der Nationalpark um das Gebiet bis zum Falkenstein erweitert. – Begleitet von den Protesten der 1995 gegründeten „Bürgerbewegung zum Schutz des Bayerischen Waldes“, deren Mitglieder – aufgeschreckt durch die Anfang der 1990er entstandenen riesigen Borkenkäfer-Totholzflächen – im Erweiterungsgebiet weiterhin eine geregelte Borkenkäferbekämpfung forderten. Selbst, als bereits nach wenigen Jahren mit der – auch für pessimistische Laien deutlich erkennbare – „Wiedergeburt des Waldes“ im Altpark zwischen Rachel und Lusen die Nationalparkidee „Natur Natur sein lassen“ deutlich Erfolge zeigte, ließen sich diese Kritiker nicht überzeugen….Es sei, wie es sei!

 

Außerhalb des Nationalparks, in den Gebieten des Naturparks Bayerischer Wald und im 1973 gegründeten Naturpark Oberer Bayerischer Wald, hat’s die Natur etwas schwerer. Doch die Landschaft wirkt in manchen Teilen trotzdem immer noch wild und ursprünglich, in anderen Teilen ist sie einfach „nur“ schön - eine Augenweide. – Schließlich ist ja die „Pflege der Kulturlandschaft“ neben dem Artenschutz, dem Naturschutz und der Umweltbildung die Hauptaufgabe der Naturparkvereine…

 

Drüben, auf der anderen Seite der Grenze, wurde 1991 der  Nationalpark Šumava gegründet. – Er ist uriger als der Bayerische Wald, verlassener. Auch ihm ist eine Art „Naturpark“ vorgelagert.

 

Doch jetzt ist’s genug. Wir wollen raus und wandern! Den Bayerischen Wald ergehen und erfahren, selbst erleben, ihm und seinen Menschen begegnen! Also: Schuhe angezogen, eine Brotzeit und eine Regenjacke im Rucksack verstaut und: Auf geht’s!  Alles andere erfahren wir unterwegs…